Fresh X live erlebt: Wie Kirche auch sein kann

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Fresh expressions of church, kurz: Fresh X: Das scheint das neue Gemeindeaufbauwunder aus England zu sein. Die Kirchen in England, die schon seit langem viel stärker unter Mitgliederschwund zu leiden haben als wir hier in Deutschland, investieren viel Zeit, Geld und Personal in neue Formen von Gemeinde.

Gemeinsam ist ihnen normalerweise, dass sie sich an Menschen wenden, die bisher mit Kirche keinen oder wenig Kontakt hatten. Sie tun das, indem sie sich sehr spezialisieren, an die Bedürfnisse der Menschen anpassen. Es kann sein, dass eine Gemeinde ihr Kirchengebäude verkauft und die Arbeit lieber in einem Café stattfinden lässt – die meisten sind jedoch nicht so radikal. Wichtig ist auch noch, dass die meisten dieser Fresh X Menschen in der Nachfolge schulen.

Sebastian Baer-Henney absolvierte ein einjähriges Auslandsvikariat an einer großen anglikanischen Gemeinde in London und besuchte und interviewte in dieser Zeit eine große Zahl von Fresh X in den verschiedensten Ausprägungen.

Das reicht von großen Kathedralen im Stadtzentrum bis hin zu Jugendkirchen auf dem Land, weit weg vom nächsten Dorf. Von Surferzentren am Strand bis zu interkulturellen Zentren. Von Angeboten für die Ärmsten bis hin zu Büros für moderne Performer und Angeboten für die High Society. Kontext – das ist das entscheidende Zauberwort. Erfolgreiche Fresh X sind immer konsequent auf einen Kontext, eine bestimmte Zielgruppe ausgerichtet und sind sich dessen bewusst, dass sie damit andere Zielgruppen ausschließen.

Die einzelnen besuchten Einrichtungen werden jeweils auf wenigen Seiten sehr kompakt beschrieben. Sebastian Baer-Henney bringt dabei seine eigenen Erfahrungen aus Deutschland ein, vergleicht, wertet, fragt nach. Er lässt offene Fragen stehen, legt den Finger in so manche Wunde der besuchten Fresh X oder auch seiner rheinischen Landeskirche.

So unterschiedlich die Fresh X sind, die er besucht: Es wird immer stärker deutlich, wie wichtig und zentral diese Einrichtungen für die kirchliche Entwicklung sein können. In England haben sie Unterstützung von „ganz oben“, vom Bischof. Neue Formen sollen und dürfen ausprobiert werden. Und sie dürfen auch scheitern – nicht jedes Experiment kann gelingen. Dabei werden konfessionelle Grenzen ebenso überschritten wie die der Berufsgruppen. Methodisten stellen anglikanische Geistliche ein und umgekehrt, die Gemeindeleitung wird von Managern, Pädagoginnen oder ganz anderen Berufsgruppen wahrgenommen. „Postkonfessionell“, dieses Stichwort fällt immer wieder mal. Und auch „mixed economy“. Das bedeutet: Das Nebeneinander verschiedener Gemeinden und Gemeindeformen, die eine Einsicht treibt, die in Deutschland kaum eine Gemeinde hat: Dass eine einzige Gemeinde nicht für alle da sein kann, sondern immer, allerdings oft unausgesprochen, eine bestimmte Zielgruppe anspricht. Dass es deshalb gar nicht schlimm ist, wenn nebeneinander verschiedene Gemeindeformen bestehen, denn sie können sich ergänzen, statt sich gegenseitig Konkurrenz zu machen. 

Auch der oft gespürte Gegensatz zwischen eher evangelikalen Gemeinden und liberalen verschwimmt. Jede Gemeinde hat ihren eigenen Schwerpunkt, manches steht hier nebeneinander, das anders gar nicht zu denken wäre. Gemeinsam ist ihnen allen, dass sie dem Gebet eine Schlüsselrolle zuweisen. Ohne dass Gott an der Gemeinde mitbaut, kann nichts geschehen. Diese Menschen, die hier in „church plants“ und „Fresh X“ arbeiten, sind sich dessen bewusst, dass sie bei aller Kreativität und Besonderheit ihrer eigenen Person nur Werkzeuge sind, durch die Gott an seiner Kirche tätig wird.
Immer wieder fragt Sebastian Baer-Henney nach: Was bedeutet das für unsere Gemeindearbeit in Deutschland? Wo können wir ansetzen, was ist vielleicht auch anders als in England?

Sein Plädoyer für mehr Freiheit und Experimentierfreude ist überzeugend und ansteckend, jedenfalls für mich. Möglicherweise wird es auch Gemeinden geben, die darin eher eine Gefährdung und eine Infragestellung der eigenen Arbeit sehen. 
Allen, die nach neuen Wegen der Gemeindearbeit suchen, allen, die verkrustete Strukturen aufbrechen wollen, kann ich dieses Buch nur wärmstens empfehlen.

Weitere Informationen zur Fresh X Bewegung unter www.freshexpressions.de

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Buchinformationen

 

Sebastian Baer-Henney: Fresh X - live erlebt: Wie Kirche auch sein kann, broschiert, 192 Seiten, Brunnen-Verlag, ISBN 978-3-7655-2042-6, 14,99 €

E-Book 11,99 €